cloud machine
phoenix-see dortmund
begehbarer pavillion aus polyesterkugeln 7m x 6,5m x 3,5m mit schlafgelegenheit; skulpturen aus aluminium und kunststoff, broschüre, etc.
kläranlage bottrop: 40 kw turbine mit wasserschneckenantrieb liegt bei der betriebsregierung zur genehming
Cloud Machine
Vom Aggregatzustand der Dinge in der Kunst
I Zustand
Die Technik ist also nicht bloß ein Mittel. Die Technik ist eine Weise des Entbergens.
Martin Heidegger: Die Frage nach der Technik, 1950
Dass Natur und Naturkreislauf eine andere Zukunft haben könnten als vorhersehbar: Dass an die Oberfläche tretendes Grundwasser nicht zum See wird, sondern verdampft. Dass Maschinen diesen Wandel vermitteln. Dass es einen bestimmbaren Ort gibt, von dem aus das Geschehen beobachtet wird. Dass dieses Geschehen als KUNST gilt.
Vor aller Augen steht Dampf: es ist das hervordrängende Grundwasser, das, anstatt den See weiter zu füllen, als Wolke aufsteigt und davonzieht. Die Energie, die dazu nötig ist, kommt aus einer in die Emscher eingelassenen Wasserschnecke flussaufwärts. Energie, Mechanismus, Leitungen und Umwandlung bleiben unsichtbar – Kunst als Technik, die sich verbirgt. Sichtbar wird nur die flüchtige Wolke über einem geheimnisvollen Kasten. Auf dem See steht ein kugelförmiger Pavillon: eine zeitgenössische Forschungsstation. Darin: Skulptur. Daneben: das aufgestiegene Wasser, der sogenannte Phönix-see, eine künstliche Wasserfläche umflossen von einem kunstvoll geleiteten Fluss. In den letzten Jahren ersetzte hier ein neu angelegter, natürlich wirkender See ein Stahlwerk. An dieser Stelle, auf, über dem See: Die Kunstkugel, der Pavillon, der Eingriff des Künstlers, die prüfende Neugierde des Publikums – eine Installation aus Landschaft, Apparatur, Betrachter und Skulptur. Die schützende Haut des Pavillons, die vom Zaun geschaffene Distanz zur KUNSTMASCHINE, die überraschende Verwandlung des Sees in Wolken: eine Anordnung. Das Kunstwerk als Chiffre zwischen Natur und dem Projekt von Zivilisation.
„Alle Kunstwerke, und Kunst insgesamt, sind Rätsel“ schreibt Theodor Adorno. „Das Rätsel lösen ist soviel, wie den Grund seiner Unlösbarkeit angeben: der Blick, mit dem die Kunstwerke den Betrachter anschauen.“1 Der Blick, mit dem uns dieses Kunstwerk anschaut, ist der Ausblick, den es gewährt: auf Landschaft und See wie auf den umzäunten Bereich, den Park, in dem die Maschine steht. Das Unsichtbare, das sichtbar wird: der menschliche Wille, die Arbeit, der Horizont von Zukunft, den das Projekt Emscher-Umbau zieht.
II Umstand
Alle natürlichen Bewegungen der Seele sind Gesetzen unterworfen, die denen der Schwerkraft entsprechen. Ausnahmen macht allein die Gnade.
Simone Weil: Cahiers, 1941
Die Situation deutscher, also europäischer Gegenwart gleicht dem Ort, der hier für einige Zeit entsteht: ein Steg, über den sich spazieren lässt, bekrönt von Kunst. Nichts wird bleiben wie es ist.
Gleichwohl ermöglicht die Beschäftigung mit dem Vorhandenen unerwartete Einsichten. Viel wurde erreicht. Pläne für den Umbau sind vorhanden. Es wurde gearbeitet: kooperativ, zielstrebig, unheroisch. Der Künstler bleibt die Ausnahme: er hebt den Normalfall nicht auf, sondern verschiebt ihn ins Offene einer unabschließbaren Deutung. Sein Eingriff eröffnet Spielräume. Neben dem, was die Arbeit offensichtlich zeigt, schafft sie als Kunstwerk einen Assoziationsraum, der weit über das hinausreicht, was zu sehen ist. Die symbolische Aufladung des Kastens, der die Maschine verbirgt, kommt aus einer Vergangenheit, deren Matrix unsere Gesellschaft bis heute prägt. Die Erinnerung daran ermöglicht Deutungen – symbolische, verhandelbare, gewaltfreie Operationen am technischen Herz der Gegenwart. Einst barg der Kasten als Bundeslade ein Gesetz, das alle Wirklichkeit bestimmte: „Wer nun den Herrn befragen wollte, der ging zum Zelt der Zusammenkunft hinaus, das außerhalb des Lagers stand. … Und wenn Mose in das Zelt hineinging, kam die Wolkensäule herab und stellte sich an den Eingang des Zeltes und ER redete mit Mose. … Der Herr aber redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie jemand mit seinem Freunde redet“ (Exodus 33, 7–11). Der Container hinter dem Zaun, über dem von Zeit zu Zeit die Wolke steht, ist kein Zelt der Zusammenkunft. Als Kunstwerk wird er zum Sinnbild: für eine Form von Produktion, die uneinsehbar vor sich geht und überraschende Ergebnisse zeitigt. Doch ist auch dieser Container gestalthaft mit dem Zelt verwandt, in dem die mosaischen Gebote verwahrt lagen. „Das unabwendbar Strenge des Gesetzes“2, die Verpflichtung auf Realität, die Bindung an eine Wirklichkeit, die einerseits gesetzt, andererseits verständlich ist und gedeutet werden möchte: Einsicht in das Gegebene ist die black box unserer Zivilisation. In einigem Abstand dazu, auf dem See, steht der Pavillon: Kunst schafft, auf Wirklichkeit bezogen, einen Raum, der sich ins Verhältnis setzt. Kein Moses, zu dem die Wirklichkeit freundlich spricht, kein Volk, das auf die Knie fällt. Stattdessen Wolken von Künstlerhand, nach der Wirklichkeit gebildet, aber aus festem Material, dinghaft. Nicht als Fetisch: kein Götzenbild. Das Kunstwerk als tastende Wiederholung dessen, was ohne menschliches Zutun geschieht: im Kreislauf der Natur, im automatisierten Prozess maschineller Produktion. Die Wolke nicht als Offenbarung von Transzendenz, sondern als Bild und Inbegriff künstlerischer, menschlicher Arbeit.
III Abstand
Das Rätselbild der Kunst ist die Konfiguration von Mimesis
und Rationalität.
Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 1970
Die Arbeit cloud machine als Emblem. In einer Zeit, in der sich die Fundamente unseres Lebens – arbeiten, wohnen, reden, lieben – grundstürzend verschieben, kristallisieren sich am Kunstwerk die Fragen der Gegenwart. Kunst wird zum Modell für eine Praxis, die menschliches Handeln in anderen, weiteren Zusammenhängen begreift, als ein in vielem automatisierter, von Regelkreisläufen bestimmter Alltag es zulässt. Das Kunstwerk entfaltet seine Kraft als Gebrauchsanweisung für eine Phantasie, die als soziale zu einer anderen gesellschaftlichen Praxis motiviert. Es geht darum, Verhaltensweisen im Stofflichen: Mimesis, Anpassung, mit dem Projekt der Moderne: Aufbruch, Wandel, Transformation in Ausgleich zu bringen. Es geht um die Balance zwischen der Belastbarkeit körperlicher Strukturen und der Flüssigkeit: Liquidität von Geist. Die Wolke ist ein Energiefeld – sie wandert, ist amorph und in ihrer Materialität von einer Feinheit, die sich der dinglichen Fixierung entzieht. Um die Wolke zu begreifen, bedarf es einer anderen Form von Wahrnehmung als jene, die mit den allfälligen Kategorien zur Produktion von Sinn formuliert wird. Die Wolke hat keinen Wert. Sie ist kein Projekt, sondern das Modell einer Existenz. Ihr Dasein ist nicht von Dauer. Sie existiert nicht als produktives Netzwerk verschiedener lokaler Zentren, sondern durch die Bindungskräfte einer feinstofflichen Berührung zwischen Oberflächen.
Das Kunstwerk an der Emscher: Zeichen und Deutung im Projekt ihrer Renaturierung – das Kunstwerk ermöglicht die Wahrnehmung einer solchen Existenz. Sie erscheint uns zukunftsträchtig, denn sie zeigt eine neue Form im Verhältnis von Zivilisation und Umwelt. Der Pavillon auf dem See ist auch ein Kokon: man verlässt ihn verwandelt – nicht materiell, aber mit einem anderen Blick. Dieser sieht nicht das biegsame, gegenständliche, objektive Gerüst der Dinge, sondern ihr Dasein als das Potenzial einer Praxis, die nicht verbraucht oder verwüstet. Neben der Logik der Verwertung existiert noch eine andere: Nennen wir sie die Logik des Zusammenhalts diskreter Elemente. Kunst ist ein dinghaftes, materiales Modell für diese Form der Bindung. Die Wolke ist ihr Emblem.
Marc Wrasse