burg giebichenstein kunsthochschule halle
lecture one, burg giebichenstein university of art and design
was heißt plastik?
warum sind wir hier?
ich habe die frage gestellt: was heißt plastik?
und ich habe dazu nichts zu sagen.
ich habe keine antwort.
ich habe nichts.
in dieser vortragssituation ist es unmöglich zu ergründen was plastik heißt.
vielleicht kann ich aber darstellen warum das nicht geht.
plastik ist nicht reden. plastik ist tun. plastik ist die praktische bildnerische arbeit der hände mit realem material und gegenständen. plastisches handeln ermöglicht erfahrungen mit verschiedensten materialien. in der plastik lässt sich die wechselbeziehung von form und material begreifen.
das ist die welterschließende kraft der plastik.
worte treffen nicht und so greife ich dreimal ins leere.
1.
plastik ist etwas das seinen ursprung weder in der sprache findet noch in verstand und intellekt.
wir können versuchen das feld mit sprache zu umrunden, mehr nicht.
beim plastischen gestalten müssen wir unseren gedanken misstrauen. hier trauen wir unseren eigenen worten nicht. wir können versuchen dem zu vertrauen, das wir körperlich erleben. eine grundlage der plastik ist somit die sinnliche wahrnehmung.
2.
plastik ist die materialisierung von gedanken. mies von der rohe sagte zu gestaltung: sie sei der räumliche ausdruck geistiger entscheidungen. damit wird räumlich-plastisches entwerfen teil eines bezugssystems, dem von geometrischen körpern bis zu wolkigem unsteten alles zugehörig sein kann, das der vorstellungskraft entpringt.
3.
gibt es einen objektiven oder wissenschaftlichen bezugsrahmen für den bereich der plastik? gibt es jenseits von konventionen wie der bürgerlichen kunst oder politisch erzieherischer manipulation eine plastische grundlage? die durch physikalisch-biologische prozesse bedingte genese ist vielleicht so ein bereich. in der natur entstehen formen durch kräfte, die unabhängig von menschlicher arbeit und einwirkung sind. der vergleich plastisch gestalteter objekte mit diesen morphogenetisch entstandenen gebilden ermöglicht das verstehen von form. form und struktur von nicht von menschen gemachter unbelebter materie sowie der lebewesen stehen in einem zusammenhang mit mathematik, physik und mechanik. plastik ist ein mimetisches sich verlierendes nachvollziehen solcher kräfte.
diese drei gedanklichen annäherungen an plastik ergänzen sich nicht, sondern entkräften sich. unabhängig davon lässt sich martin heidegger umschreiben und denken gegen gestalten austauschen. und das ließt sich dann so:
wir gelangen in das, was gestalten heißt, wenn wir selber gestalten. damit ein solcher versuch glückt, müssen wir bereit sein, das gestalten zu lernen. sobald wir uns auf das lernen einlassen, haben wir auch schon zugestanden, dass wir das gestalten noch nicht vermögen. aber der gestalter gilt doch als jenes wesen, das gestalten kann. er gilt dafür mit recht. denn der mensch ist das kreative lebewesen. die kreativität aber, das schöpferische, entfaltet sich im gestalten. als das kreative lebewesen muss der mensch gestalten können, wenn er nur will. doch vielleicht will der mensch gestalten und kann es doch nicht. am ende will er bei diesem gestalten wollen zu viel und kann deshalb zu wenig.
verkürzt gesagt: wenn wir nur wollen finden wir nicht zum gestalten. auch die eigene erfahrung zeigt — wenn man formt, übernimmt das material die führung. letztendlich wissen wir dann nicht was wir machen. das werk ist nicht klüger als der gestalter, aber es nimmt von ihm besitz. das mindeste, das man vom form geben sagen kann, ist, dass es experiment ist, das den gestaltenden von sich entfernt. im gestalten öffnen wir uns unseren grenzen, um sie durch diese öffnung zu konstituieren. es gibt ein subjekt des gestaltens. es artikuliert sich aber in der subjektvergessenheit beim selbst zugreifenden tun.
gibt es also nichts zu vermitteln? sind wir also alle autodidakten? nein wir können einen handlungsraum aufspannen: es geht darum herauszufinden wer wir sind und was wir im realen physischen raum vermögen in dem wir uns bewegen und dessen teil wir mit unserer körperlichen existenz sind. und darum sind bei plastik und objekt die gesellschaftsbildenden und weltstiftenden dimensionen stets mitzudenken. z.b. ließe sich fragen kündigt sich in plastischen objekten eine neue zukunft an ? sind sie von poetischer kraft? das ist das projekt.
plastische arbeit wird immer mehr zurückgedrängt. schon otl aicher beschreibt das so: unsere zivilisation vertreibt uns aus jeder art arbeit, sei es die herstellung von dingen, das ernten von früchten oder die erfüllung von dienstleistungen. (nur die von maschinen und robotern geleistete arbeit ist von wirklich ökonomischem nutzen.) … damit verlieren wir die beziehung zu dingen und sachen, … von entwurf und folge.
daher sind wir verpflichtet über das design hinausgehende fragen nach unserer existenz zu stellen. ich werde nicht versuchen diese fragen hier theoretisch zu beantworten sondern sie in meiner arbeit an der burg praktisch ergründen.
—material – was ist das?
materie? oder geht es beim material um das dinghafte der gestaltung? und wenn, ist das dinghafte das profane am gestalteten? und was unterscheidet die plastische geste im gegensatz zum skulpturalen?
—form – was ist das?
eine der bedeutungen kann sein, dass es um das empfindsam-sinnliche geht. oder müssen wir material spüren bis es weh tut?
wird durch die form aus material design und kunst? und pure form ohne material was wäre das? (musik, licht, wellen?)
—objekt – was ist das?
wie ist der zusammenhang zwischen material, form und objekt? unter den vielen möglichkeiten der interaktion zwischen mensch und objekt gehört das bildnerische tun. dabei gehen wir spielerisch mit dem zu gestaltenden um. vielleicht nennen wir die so entstandenen objekte mit hans-georg gadamer besser gebilde? geht es also beim gestalten um das verwandeln eines objektes ins gebilde das sich durch einen zuwachs (an sein) auszeichnet? und welche bildungs- oder gar wachstumsprozesse liegen ihm zugrunde?
wir binden die lehre an die einzelnen subjekte, leiten sie aus der eigenen tätigkeit, dem eigenen praktischen wissen ab. wir iniitieren prozesse, die im glücklichen zu eigenständigkeit führen. das sind keine ziel- oder ergebnislosen prozessese, sondern ergebnisoffene prozesse, die freie und unabhängige persönlichkeiten auszubilden.
es gibt keine aufgaben, sondern die beschreibung eines arbeitsfeldes. zur aufgabe gibt es eine lösung.
mit marcel duchamps aussagen zu seinem großen glas lässt sich sagen: es gibt keine lösung, weil es kein problem gibt. wir suchen keine lösungen sondern vollziehen authentische übungen und versuche. das kann von der absoluten kontrolle bis zum puren zufall gehen. dabei müssen spannungen im findungsprozess ausgehalten werden. plastisches arbeiten erstreckt sich von konsekutiv aufgebauten reihen zu impulsartigen emanationen. es erlaubt verschiedenste tiefen des durcharbeitens.
um den horizont zu bestimmen mit dem wir arbeiten ist es wichtig sich für den eigenen körper,
die eigenen hände zu sensibilisieren und von den feinsten nuancen bis an die schmerzlichsten und stärksten erfahrungen zu kommen. es geht also um kreative grenzerfahrung. es gibt grunderfahrungen des wirklichen, grunderfahrungen des eigenen ich, die keine verfügungsmasse des rationalen sind.
ziel ist es material durch formgebung eine bedeutung zu geben.
hannes böhringer der mir als student versucht hat das denken nahezubringen schraubt das noch eine umdrehung weiter und sagt (am grab eines künstlers):
kunst ist es, die tote, schwere masse von material und bedeutung zu überlisten (, um mühelos, leicht, spielerisch und witzig zu werden, um so dem ernst überhaupt erst das angemessene gewicht zu verleihen. ernst: tod, elend, leiden muß in der tiefe und nicht oben auf liegen, )
damit uns (wen?) die kunst ergreifen, trösten, begeistern, erheitern, zum leben verführen, uns klüger und alles vergessen machen kann, was wir vorher hatten. uns angebern bleibt der mund offen stehen: kunst nach dem ende der kunst; die kunst, die über sich hinausgeht, die sich selbst vergißt, kunstlose kunst. was?
(und das kurz in beziehung setzen mit der plastik)
lehre ist keine dienstleistung. was bedeutet es dann plastik zu lehren? wir müssen lehre den charakter von plastischer arbeit annehmen lassen. sich selber physisch, körperlich einbringen. lehre als ein spielerischer prozess in dem die lehrenden die lernenden und die lernenden die lehrenden formen.
um das zu konkretisieren habe ich wiederum fragen formuliert, die ich nicht theoretisch beantworten kann, für die ich aber im konkreten stets antworten finden muss.
wieviel verbindliches handwerk brauchen die design studierenden?
was ist unabdingbar für die plastischen grundlagen?
soll man versuchen die studierenden mit möglichst interessanten aufgaben zu begeistern?
vielleicht soll man sie lieber selbst kommen lassen. eine einfache frage wie: warum seid ihr hier?
kann im richtigen kontext gestellt zu einem bewußtsein für die radikale selbstverantwortung führen.
denn die schwierigste aufgabe ist: sich selbst eine aufgabe zu geben. was bleibt von der schönheit, komplexität und würde, wenn wir alles in aufgaben aufteilen? was aber passiert wenn es keine aufgabe gibt?
das studium ist eine bewegung hin zum großen ergebnisoffenen infragestellen des bereits vorhandenen. es ist ein sich öffnen für das sich selbst neue. dabei hilft eine zeit des nicht sofort bewerten müssen, sondern erst einmal aufmerksam betrachten. diese ruhe brauchen wir auf der suche nach einer schöpferischen kraft, die etwas unvorhergesehenes in die welt bringt. um diese suche beginnen zu können ist es gut sich vorzubereiten.
also jetzt nur an die studierenden: sie sind hier um zu lernen. sie müssen an ihre grenzen stoßen.
dann werden sie dem unverständnis der anderen begegnen. aber sie müssen sich selber die fragen stellen und sie müssen sich das selber beantworten. das geht manchmal elegant und manchmal macht man sich dabei sehr schmutzig.
so müssen wir ästhetische sensibilität lernen. tatsächlich wahrnehmen und erfahren kann man das nur mit geschärfter wahrnehmungskraft. wir erkennen im vollzug. erkennen was stark ist, aber auch wo die grenzen sind. wir lernen wahrnehmung – aber auch die grenzen der kraft der wahrnehmung.
wir können und wollen nicht zurück, wir wissen aber noch nicht wohin es geht.
meine eigenen arbeiten sind zeichen für die suche auf die ich mich begeben habe. ich versuche nun anhand einer auswahl meiner plastischen arbeiten zu zeigen, was ich als ergebnisoffenes gestalten begreife.
mit joseph beuys begriff der sozialen plastik kommen wir heute nicht weiter. die notwendigkeiten heute sind andere. daher müssen wir ihn verschieben, spezialisieren und präzisieren. deshalb habe ich anstelle der sozialen plastik den begriff von der biologischen plastik in die welt gesetzt.