l.23.01 wolkenfänger

bahnhofsvorplatz duisburg

realisierung für 2023 geplant

wel­ches mit der geschich­te der schwer­indus­trie ver­knüpf­te bild­werk ermög­licht einen asso­zia­ti­ons­raum für die­se stadt?
das künstlerische pro­jekt auf dem platz bezieht sich auf den hin­ter­grund der indus­trie­kul­tur als allein­stel­lungs­merk­mal. jen­seits aller trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­se ist und wird die schwer­indus­trie wesent­li­cher bestand­teil der duis­bur­ger iden­ti­tät blei­ben. der ent­wurf greift das auf und stellt stahl und die kon­struk­ti­ve leis­tungs­fä­hig­keit die­ses werk­stoffs als mate­ri­al duis­burgs in den mittelpunkt.

der ers­te blick des in duis­burg ankom­men­den wird auf einem 20 m hohen turm aus stahl fal­len. leicht steht die hoch­auf­ra­gen­de schlan­ke kegel­för­mi­ge gestalt auf dem platz. die git­ter­struk­tur ist trans­pa­rent und ermög­licht durch­bli­cke. sie besetzt den raum nicht mom­u­men­tal, son­dern umschreibt die form wie eine zeichnung.

eine wei­ße kumu­lus­wol­ke hat sich in dem gestell ver­fan­gen. als poe­ti­sches moment umhüllt sie die logisch, geo­me­tri­sche struktur.
die wol­ke ist aus dem land­schaft­li­chen her­aus­ge­löst, führt ein eigen­le­ben. sie wirft ihren wol­ken­schat­ten auf den platz. die wol­ke ist amorph und von einer mate­ria­li­tät, die sich der fixie­rung ent­zieht. um die wol­ke zu begrei­fen, bedarf es einer ande­ren form von wahr­neh­mung als jener, die mit den all­fäl­li­gen kate­go­rien zur pro­duk­ti­on von sinn for­mu­liert wird. die wol­ke hat kei­nen wert. sie ist das modell einer exis­tenz die durch die bin­dungs­kräf­te einer fein­stoff­li­chen berüh­rung zwi­schen ober­flä­chen ent­steht. in der wol­ke, dem para­dig­ma der ver­wand­lung, fin­det all das raum und gestalt, was sonst weder loka­li­sier­bar noch abbild­bar ist.

für meteo­ro­lo­gen ist eine wol­ke das kom­pli­zier­tes­te gebil­de der atmo­sphä­re. wer ver­ste­hen will, wie sie sich bil­det oder auf­löst, wie sie lebt, reg­net, schneit oder hagelt, muss gleich­zei­tig gase, flüs­sig­kei­ten und fest­kör­per betrach­ten – und die über­gän­ge zwi­schen die­sen drei pha­sen. die wol­ke in einer indus­trie­stadt zeigt aber auch eine neue form im ver­hält­nis von zivi­li­sa­ti­on und umwelt. für duis­bur­ger sind wol­ken auch die künst­li­chen wol­ken der koke­rei­en. die wol­ken­ma­cher genann­ten arbei­ter löschen den koks mit was­ser, dass als gewal­ti­ge wol­ke auf­steigt. mit der 2014 fer­tig gestell­ten neu­en koke­rei der hüt­ten­wer­ke krupp man­nes­mann in duis­burg schwel­gern lebt die­se tra­di­ti­ons­rei­che pro­duk­ti­on auf höchs­tem niveau fort.

der his­to­ri­sche rahmen
der turm bezieht sich auf zwei his­to­ri­sche model­le: die rohrtürme der gebrüder man­nes­mann und die hyper­bloi­schen stab­wer­ke des rus­si­schen inge­nieurs wla­di­mir g. suchow.
1896 wur­de das ers­te hyper­bloi­sche stab­werk als was­ser­turm errich­tet. der turm bestach durch leich­tig­keit bei hoher sta­bi­li­tät und durch eine aus gera­den trag­stä­ben ent­wi­ckel­te dop­pelt gekrümmte form. such­ov rea­li­siert die­se neu­ar­ti­ge turm­kon­struk­ti­on auf der basis eines ent­wurfs von mannesmann.
der git­ter­för­mi­ge turm ent­steht als trag­werk aus sich über­kreu­zen­den gerad­li­ni­gen roh­ren, die auf den leit­li­ni­en des rota­ti­ons­kör­pers ver­lau­fen, des­sen gestalt der turm hat. sie sind mit­ein­an­der an den kreu­zungs­stel­len und außer­dem durch waag­rech­te rin­ge verbunden.

durch die ent­wick­lung des man­nes­mann-ver­fah­ren für naht­lo­se stahl­roh­re, ent­wi­ckel­te sich das unter­neh­men zu einen inter­na­tio­nal täti­gen kon­zern. man­nes­mann errich­te­te 1914 eine eige­ne stahl­pro­duk­ti­on in duis­burg-hüt­ten­heim. die hüt­ten­wer­ke krupp man­nes­mann gmbh haben noch heu­te ihren haupt­sitz in duisburg.
aus dem man­nes­mann nach­lass exis­tiert eine zeich­nung „rohrtürme“ mit aus­sichts- bzw. leuchttürmen die hyper­bo­li­sche stab­wer­ke sind. die zeich­nun­gen sind zwi­schen 1890 und 1895 ent­stan­den und stel­len damit die ers­ten bekann­ten entwürfe von hyper­bo­li­schen gittertürmen dar. da die fir­ma man­nes­mann auch die roh­re für ein pipe­line­pro­jekt in russ­land, an dem such­ov betei­ligt war lie­fer­te, ist es wahr­schein­lich dass such­ov die entwürfe der man­nes­mann rohrtürme gekannt hat. auch auf der hälf­te der stahl­pro­fi­le, die in der kon­struk­ti­on des schu­chow-radio­turms ver­wen­det wur­den, befin­det sich der stem­pel der fir­ma krupp.

die ver­bin­dung
der ers­te rea­li­sier­te bau eines hyper­bo­li­schen git­ter­tur­mes geht auf such­ov zurück. die grund­la­gen dafür bil­det nicht nur das man­nes­mann-röh­ren-ver­fah­ren, son­dern auch die kon­struk­ti­ons­skiz­zen von 1890. die skulp­tur wol­ken­fän­ger wird die in den zeich­nun­gen gefun­de­ne kon­struk­ti­ons­wei­se am ort sei­ner pla­nung erst­ma­lig realisieren. 

bezie­hung der skulp­tur zur platzgestaltung
die ent­wurfs­ele­men­te ver­we­bung und bän­de­rung wer­den bei der gestal­tung des bahn­hofs­plat­zes eingesetzt.

eine der iden­ti­tät stif­ten­den grund­ge­dan­ken des plat­zes ist eine künstlerische inter­pre­ta­ti­on basie­rend auf den kar­to­gra­phi­schen ideen ger­hard mer­ca­tors, die sich heu­te in der soge­nann­ten „mer­ca­tor­pro­jek­ti­on“ wie­der­fin­den las­sen und die moder­ne tech­no­lo­gien, wie z.b. navi­ga­ti­ons­sys­te­me, mit beein­flusst haben.
hier ist der funk­ti­ons­lo­se mast mit der wol­ke eine anspie­lung auf die navi­ga­ti­ons­ele­men­te bei schif­fen und eine erin­ne­rung an sen­de­mas­ten die als hyper­bo­li­sche gittertürme gebaut werden.

über­ein­an­der gestell­te hyperboloide
eine hyper­bo­li­sche ebe­ne wird daher erzeugt, indem zwei gegen­ein­an­der schräg gestell­te gera­den ent­lang eines krei­ses durch den raum bewegt wer­den. die ent­ste­hen­de flä­che bezeich­net die mathe­ma­tik als regel­flä­che mit dop­pel­ter, gegen­sin­ni­ger krümmung. durch ände­rung der schräg­stel­lung der bei­den gera­den oder der ände­rung der kreis­durch­mes­ser vari­iert die form des hyper­bo­lo­ids. die gittertürme in hyper­bo­loid­form wer­den mit schräg gestell­ten gera­den stä­ben zwei­er sich kreu­zen­der gera­den­scha­ren kon­stru­iert, wel­che immer im glei­chen abstand um einen kreis gestellt wur­den. sie übernehmen die tra­gen­de funk­ti­on von druck­stre­ben. das ent­stan­de­ne git­ter bil­de­te die flä­che des hyperboloids.

die skulp­tur spielt mit dem bild des „alten“ ruhr­ge­biets, mit sei­nen indus­trie­an­la­gen und rau­chen­den schlo­ten, die so lan­ge nega­ti­ve wahr­zei­chen des ruhr­potts waren. der durch­bro­che­ne turm ergänzt die viel­zahl der duis­bur­ger tür­me zu denen gehö­ren: kühl­tür­me, schlo­te, kami­ne, för­der­tür­me, gas­fa­ckeln, mas­ten und andere.

merc­tors erfin­dung erlaubt es den see­leu­te bei gerad­li­ni­ger navi­ga­ti­on über eine tat­säch­li­che kur­ven­bahn zum ziel zu gelangen.
die mer­ca­tor-pro­jek­ti­on ist eine nach ger­hard mer­ca­tor benann­te form der zylin­der­pro­jek­ti­on, bei der die
pro­jek­ti­on in rich­tung der zylin­der­ach­se geeig­net ver­zerrt ist, um eine win­kel­treue abbil­dung der erd­ober­flä­che zu errei­chen. bei der skulp­tur wer­den die senk­rech­ten des zylin­ders geneigt, so dass eine hyper­bel­ar­ti­ge krüm­mung aus gera­den entsteht.
ger­hard mer­ca­tor ver­öf­fent­lich­te zu navi­ga­ti­ons­zwe­cken 1569 eine kar­te auf der erst­mals ein gesteu­er­ter kurs als gera­de ein­ge­zeich­net wer­den konn­te. die nord­rich­tung ist überall auf der kar­te die­sel­be. zusam­men mit der win­kel­treue bedeu­tet dies, dass loxo­dro­men (d. h. gleich­blei­ben­de kur­se) als gera­den abge­bil­det werden.
in luft- und see­fahrt erlau­ben loxo­dro­me das rei­sen ent­lang nur einer pei­lung. die stre­cke ist zwar etwas län­ger erfor­dert aber kei­nen stän­dig neu­en kurswinkel.

fazit
der ent­wurf ver­bin­det zwei wich­ti­ge momen­te auf dem weg in die moder­ne, die bei­de einen his­to­ri­schen bezug zu duis­burg haben. mer­ca­tors mathe­ma­ti­sche ein­sich­ten. die skulp­tur lässt sich als räum­li­che ant­wort auf mer­ca­tors linea­re pro­jek­ti­on ver­ste­hen. zudem arbei­tet sie mit einem mate­ri­al und folgt einem ent­wurf, der wesent­lich auf die im ruhr­ge­biet ansäs­si­ge schwer­indus­trie und ihre pio­nier­leis­tun­gen zurückgeht.
der wol­ken­fän­ger begrüßt aus­grei­fend und selbst­be­wust die rei­sen­den auf dem weg in die stadt.