l17.01 vorlesung: was heißt plastik?

burg giebichenstein kunsthochschule halle

lecture one, burg giebichenstein university of art and design

pro­fes­sur für drei­di­men­sio­na­les gestalten/ material.form.objekt an der burg gie­bi­chen­stein kunst­hoch­schu­le halle

was heißt plastik?
war­um sind wir hier?
ich habe die fra­ge gestellt: was heißt plastik?

und ich habe dazu nichts zu sagen.
ich habe kei­ne antwort.
ich habe nichts.

in die­ser vor­trags­si­tua­ti­on ist es unmög­lich zu ergrün­den was plas­tik heißt.
viel­leicht kann ich aber dar­stel­len war­um das nicht geht.

plas­tik ist nicht reden. plas­tik ist tun. plas­tik ist die prak­ti­sche bild­ne­ri­sche arbeit der hän­de mit rea­lem mate­ri­al und gegen­stän­den. plas­ti­sches han­deln ermög­licht erfah­run­gen mit ver­schie­dens­ten mate­ria­li­en. in der plas­tik lässt sich die wech­sel­be­zie­hung von form und mate­ri­al begreifen.
das ist die welt­erschlie­ßen­de kraft der plastik.

wor­te tref­fen nicht und so grei­fe ich drei­mal ins leere.
1.
plas­tik ist etwas das sei­nen ursprung weder in der spra­che fin­det noch in ver­stand und intellekt.
wir kön­nen ver­su­chen das feld mit spra­che zu umrun­den, mehr nicht.
beim plas­ti­schen gestal­ten müs­sen wir unse­ren gedan­ken miss­trau­en. hier trau­en wir unse­ren eige­nen wor­ten nicht. wir kön­nen ver­su­chen dem zu ver­trau­en, das wir kör­per­lich erle­ben. eine grund­la­ge der plas­tik ist somit die sinn­li­che wahrnehmung.

2.
plas­tik ist die mate­ria­li­sie­rung von gedan­ken. mies von der rohe sag­te zu gestal­tung: sie sei der räum­li­che aus­druck geis­ti­ger ent­schei­dun­gen. damit wird räum­lich-plas­ti­sches ent­wer­fen teil eines bezugs­sys­tems, dem von geo­me­tri­schen kör­pern bis zu wol­ki­gem unste­ten alles zuge­hö­rig sein kann, das der vor­stel­lungs­kraft entpringt. 

3.
gibt es einen objek­ti­ven oder wis­sen­schaft­li­chen bezugs­rah­men für den bereich der plas­tik? gibt es jen­seits von kon­ven­tio­nen wie der bür­ger­li­chen kunst oder poli­tisch erzie­he­ri­scher mani­pu­la­ti­on eine plas­ti­sche grund­la­ge? die durch phy­si­ka­lisch-bio­lo­gi­sche pro­zes­se beding­te gene­se ist viel­leicht so ein bereich. in der natur ent­ste­hen for­men durch kräf­te, die unab­hän­gig von mensch­li­cher arbeit und ein­wir­kung sind. der ver­gleich plas­tisch gestal­te­ter objek­te mit die­sen mor­pho­ge­ne­tisch ent­stan­de­nen gebil­den ermög­licht das ver­ste­hen von form. form und struk­tur von nicht von men­schen gemach­ter unbe­leb­ter mate­rie sowie der lebe­we­sen ste­hen in einem zusam­men­hang mit mathe­ma­tik, phy­sik und mecha­nik. plas­tik ist ein mime­ti­sches sich ver­lie­ren­des nach­voll­zie­hen sol­cher kräfte.

die­se drei gedank­li­chen annä­he­run­gen an plas­tik ergän­zen sich nicht, son­dern ent­kräf­ten sich. unab­hän­gig davon lässt sich mar­tin heid­eg­ger umschrei­ben und den­ken gegen gestal­ten aus­tau­schen. und das ließt sich dann so:
wir gelan­gen in das, was gestal­ten heißt, wenn wir sel­ber gestal­ten. damit ein sol­cher ver­such glückt, müssen wir bereit sein, das gestal­ten zu ler­nen. sobald wir uns auf das ler­nen ein­las­sen, haben wir auch schon zuge­stan­den, dass wir das gestal­ten noch nicht ver­mö­gen. aber der gestal­ter gilt doch als jenes wesen, das gestal­ten kann. er gilt dafür mit recht. denn der mensch ist das krea­ti­ve lebe­we­sen. die krea­ti­vi­tät aber, das schöp­fe­ri­sche, ent­fal­tet sich im gestal­ten. als das krea­ti­ve lebe­we­sen muss der mensch gestal­ten kön­nen, wenn er nur will. doch viel­leicht will der mensch gestal­ten und kann es doch nicht. am ende will er bei die­sem gestal­ten wol­len zu viel und kann des­halb zu wenig.

ver­kürzt gesagt: wenn wir nur wol­len fin­den wir nicht zum gestal­ten. auch die eige­ne erfah­rung zeigt — wenn man formt, über­nimmt das mate­ri­al die füh­rung. letzt­end­lich wis­sen wir dann nicht was wir machen. das werk ist nicht klü­ger als der gestal­ter, aber es nimmt von ihm besitz. das min­des­te, das man vom form geben sagen kann, ist, dass es expe­ri­ment ist, das den gestal­ten­den von sich ent­fernt. im gestal­ten öff­nen wir uns unse­ren gren­zen, um sie durch die­se öff­nung zu kon­sti­tu­ie­ren. es gibt ein sub­jekt des gestal­tens. es arti­ku­liert sich aber in der sub­jekt­ver­ges­sen­heit beim selbst zugrei­fen­den tun.
gibt es also nichts zu ver­mit­teln? sind wir also alle auto­di­dak­ten? nein wir kön­nen einen hand­lungs­raum auf­span­nen: es geht dar­um her­aus­zu­fin­den wer wir sind und was wir im rea­len phy­si­schen raum ver­mö­gen in dem wir uns bewe­gen und des­sen teil wir mit unse­rer kör­per­li­chen exis­tenz sind. und dar­um sind bei plas­tik und objekt die gesell­schafts­bil­den­den und welt­stif­ten­den dimen­sio­nen stets mit­zu­den­ken. z.b. lie­ße sich fra­gen kün­digt sich in plas­ti­schen objek­ten eine neue zukunft an ? sind sie von poe­ti­scher kraft? das ist das projekt.

plas­ti­sche arbeit wird immer mehr zurück­ge­drängt. schon otl aicher beschreibt das so: unse­re zivi­li­sa­ti­on ver­treibt uns aus jeder art arbeit, sei es die her­stel­lung von din­gen, das ern­ten von früch­ten oder die erfül­lung von dienst­leis­tun­gen. (nur die von maschi­nen und robo­tern geleis­te­te arbeit ist von wirk­lich öko­no­mi­schem nut­zen.) … damit ver­lie­ren wir die bezie­hung zu din­gen und sachen, … von ent­wurf und folge.

daher sind wir ver­pflich­tet über das design hin­aus­ge­hen­de fra­gen nach unse­rer exis­tenz zu stel­len. ich wer­de nicht ver­su­chen die­se fra­gen hier theo­re­tisch zu beant­wor­ten son­dern sie in mei­ner arbeit an der burg prak­tisch ergründen.

—mate­ri­al – was ist das?
mate­rie? oder geht es beim mate­ri­al um das ding­haf­te der gestal­tung? und wenn, ist das ding­haf­te das pro­fa­ne am gestal­te­ten? und was unter­schei­det die plas­ti­sche ges­te im gegen­satz zum skulpturalen?
—form – was ist das?
eine der bedeu­tun­gen kann sein, dass es um das emp­find­sam-sinn­li­che geht. oder müs­sen wir mate­ri­al spü­ren bis es weh tut?
wird durch die form aus mate­ri­al design und kunst? und pure form ohne mate­ri­al was wäre das? (musik, licht, wellen?)
—objekt – was ist das?
wie ist der zusam­men­hang zwi­schen mate­ri­al, form und objekt? unter den vie­len mög­lich­kei­ten der inter­ak­ti­on zwi­schen mensch und objekt gehört das bild­ne­ri­sche tun. dabei gehen wir spie­le­risch mit dem zu gestal­ten­den um. viel­leicht nen­nen wir die so ent­stan­de­nen objek­te mit hans-georg gada­mer bes­ser gebil­de? geht es also beim gestal­ten um das ver­wan­deln eines objek­tes ins gebil­de das sich durch einen zuwachs (an sein) aus­zeich­net? und wel­che bil­dungs- oder gar wachs­tums­pro­zes­se lie­gen ihm zugrunde?

wir bin­den die leh­re an die ein­zel­nen sub­jek­te, lei­ten sie aus der eige­nen tätig­keit, dem eige­nen prak­ti­schen wis­sen ab. wir inii­tie­ren pro­zes­se, die im glück­li­chen zu eigen­stän­dig­keit füh­ren. das sind kei­ne ziel- oder ergeb­nis­lo­sen pro­zes­se­se, son­dern ergeb­nis­of­fe­ne pro­zes­se, die freie und unab­hän­gi­ge per­sön­lich­kei­ten auszubilden.
es gibt kei­ne auf­ga­ben, son­dern die beschrei­bung eines arbeits­fel­des. zur auf­ga­be gibt es eine lösung.
mit mar­cel duch­amps aus­sa­gen zu sei­nem gro­ßen glas lässt sich sagen: es gibt kei­ne lösung, weil es kein pro­blem gibt. wir suchen kei­ne lösun­gen son­dern voll­zie­hen authen­ti­sche übun­gen und ver­su­che. das kann von der abso­lu­ten kon­trol­le bis zum puren zufall gehen. dabei müs­sen span­nun­gen im fin­dungs­pro­zess aus­ge­hal­ten wer­den. plas­ti­sches arbei­ten erstreckt sich von kon­se­ku­tiv auf­ge­bau­ten rei­hen zu impuls­ar­ti­gen emana­tio­nen. es erlaubt ver­schie­dens­te tie­fen des durcharbeitens.

um den hori­zont zu bestim­men mit dem wir arbei­ten ist es wich­tig sich für den eige­nen körper,
die eige­nen hän­de zu sen­si­bi­li­sie­ren und von den feins­ten nuan­cen bis an die schmerz­lichs­ten und stärks­ten erfah­run­gen zu kom­men. es geht also um krea­ti­ve grenz­erfah­rung. es gibt grund­er­fah­run­gen des wirk­li­chen, grund­er­fah­run­gen des eige­nen ich, die kei­ne ver­fü­gungs­mas­se des ratio­na­len sind.
ziel ist es mate­ri­al durch form­ge­bung eine bedeu­tung zu geben.
han­nes böh­rin­ger der mir als stu­dent ver­sucht hat das den­ken nahe­zu­brin­gen schraubt das noch eine umdre­hung wei­ter und sagt (am grab eines künstlers):
kunst ist es, die tote, schwe­re mas­se von mate­ri­al und bedeu­tung zu über­lis­ten (, um mühe­los, leicht, spie­le­risch und wit­zig zu wer­den, um so dem ernst über­haupt erst das ange­mes­se­ne gewicht zu ver­lei­hen. ernst: tod, elend, lei­den muß in der tie­fe und nicht oben auf liegen, )
damit uns (wen?) die kunst ergrei­fen, trös­ten, begeis­tern, erhei­tern, zum leben ver­füh­ren, uns klü­ger und alles ver­ges­sen machen kann, was wir vor­her hat­ten. uns ange­bern bleibt der mund offen ste­hen: kunst nach dem ende der kunst; die kunst, die über sich hin­aus­geht, die sich selbst ver­gißt, kunst­lo­se kunst. was?
(und das kurz in bezie­hung set­zen mit der plastik)
leh­re ist kei­ne dienst­leis­tung. was bedeu­tet es dann plas­tik zu leh­ren? wir müs­sen leh­re den cha­rak­ter von plas­ti­scher arbeit anneh­men las­sen. sich sel­ber phy­sisch, kör­per­lich ein­brin­gen. leh­re als ein spie­le­ri­scher pro­zess in dem die leh­ren­den die ler­nen­den und die ler­nen­den die leh­ren­den formen.

um das zu kon­kre­ti­sie­ren habe ich wie­der­um fra­gen for­mu­liert, die ich nicht theo­re­tisch beant­wor­ten kann, für die ich aber im kon­kre­ten stets ant­wor­ten fin­den muss.
wie­viel ver­bind­li­ches hand­werk brau­chen die design studierenden?
was ist unab­ding­bar für die plas­ti­schen grundlagen?
soll man ver­su­chen die stu­die­ren­den mit mög­lichst inter­es­san­ten auf­ga­ben zu begeistern?
viel­leicht soll man sie lie­ber selbst kom­men las­sen. eine ein­fa­che fra­ge wie: war­um seid ihr hier?
kann im rich­ti­gen kon­text gestellt zu einem bewußt­sein für die radi­ka­le selbst­ver­ant­wor­tung führen.
denn die schwie­rigs­te auf­ga­be ist: sich selbst eine auf­ga­be zu geben. was bleibt von der schön­heit, kom­ple­xi­tät und wür­de, wenn wir alles in auf­ga­ben auf­tei­len? was aber pas­siert wenn es kei­ne auf­ga­be gibt? 

das stu­di­um ist eine bewe­gung hin zum gro­ßen ergeb­nis­of­fe­nen infra­ge­stel­len des bereits vor­han­de­nen. es ist ein sich öff­nen für das sich selbst neue. dabei hilft eine zeit des nicht sofort bewer­ten müs­sen, son­dern erst ein­mal auf­merk­sam betrach­ten. die­se ruhe brau­chen wir auf der suche nach einer schöp­fe­ri­schen kraft, die etwas unvor­her­ge­se­he­nes in die welt bringt. um die­se suche begin­nen zu kön­nen ist es gut sich vorzubereiten.

also jetzt nur an die stu­die­ren­den: sie sind hier um zu ler­nen. sie müs­sen an ihre gren­zen stoßen.
dann wer­den sie dem unver­ständ­nis der ande­ren begeg­nen. aber sie müs­sen sich sel­ber die fra­gen stel­len und sie müs­sen sich das sel­ber beant­wor­ten. das geht manch­mal ele­gant und manch­mal macht man sich dabei sehr schmutzig.
so müs­sen wir ästhe­ti­sche sen­si­bi­li­tät ler­nen. tat­säch­lich wahr­neh­men und erfah­ren kann man das nur mit geschärf­ter wahr­neh­mungs­kraft. wir erken­nen im voll­zug. erken­nen was stark ist, aber auch wo die gren­zen sind. wir ler­nen wahr­neh­mung – aber auch die gren­zen der kraft der wahrnehmung.
wir kön­nen und wol­len nicht zurück, wir wis­sen aber noch nicht wohin es geht.

mei­ne eige­nen arbei­ten sind zei­chen für die suche auf die ich mich bege­ben habe. ich ver­su­che nun anhand einer aus­wahl mei­ner plas­ti­schen arbei­ten zu zei­gen, was ich als ergeb­nis­of­fe­nes gestal­ten begreife.

mit joseph beuys begriff der sozia­len plas­tik kom­men wir heu­te nicht wei­ter. die not­wen­dig­kei­ten heu­te sind ande­re. daher müs­sen wir ihn ver­schie­ben, spe­zia­li­sie­ren und prä­zi­sie­ren. des­halb habe ich anstel­le der sozia­len plas­tik den begriff von der bio­lo­gi­schen plas­tik in die welt gesetzt.