hanse-wissenschaftskolleg, delmenhorst






matysiks prototypenmodelle zukünftiger menschlicher organismen sind im rahmen der tagung »produktion von evidenz. biologische metaphern und geschlechterkonstruktionen zwischen kunst und wissenschaft in neuzeit und moderne« erneut zu sehen. die durch eine strenge rasteranordnung der acrylglasvitrinen sehr clean wirkende präsentation im foyer des hanse-wissenschaftskollegs mutet wie das filmset für eine science-fiction-produktion an. matysik erscheint als experimentell forschender künstler, der auf grundlage der modernen molekularbiologie aktiv in die genetische struktur von organismen eingreift. die resultate seiner biologischen plastik können hier hinsichtlich des tagungsthemas als metaphern für eine in zukunft uneingeschränkt mögliche manipulation lebender materie gelesen werden. in matysiks welt der aktiven evolution sind es hopeful monsters. durch sie regt er zur auseinandersetzung mit den sich aus den biowissenschaften ergebenden konsequenzen für die zukünftige gesellschaft an. mit dem titel der ausstellung setzt er sich in bezug zu dem schriftsteller wilhelm bölsche, der bereits 1900 eine gleichnamige schrift publizierte und in seinem literarischen schaffen naturwissenschaftliche themen popularisierte.
matysik’s prototypes of future human organisms are to be seen anew within the context of the conference »production from evidence. biological metaphors and gender constructs between art and science in modern times and modernity«. an austere arrangement of acrylic glass display cases are pristinely presented in the foyer of the hanse-wissenschafts college, and appear as if on a film set for a science fiction film. matysik appears as an experimental research artist who on the basis of modern molecular biology, actively intervenes in the genetic structures of organisms. the results of his biological sculpture can be read here in terms of the conference theme, as metaphors for a possible future unlimited manipulation of living matter. in matysik’s world of active evolution they represent hopeful monsters. with these he provokes a debate about the consequences which arise from biological science for the society of the future. the title of the exhibition is a reference to the writer wilhelm bölsche, who already in 1900 published a work of the same name and who, through his literary writings, popularized themes of natural sciences.
wir haben immer gedacht, unser schicksal steht in den sternen. jetzt wissen wir, dass es größtenteils in unseren genen liegt.
getrieben von aussagen wie der von james watson, der vor gut 50 jahren zusammen mit francis crick die helixstruktur der dna entdeckte und inspiriert von der gegenwärtig rasant fortschreitenden entwicklung der molekularbiologie nehmen zeitgenössische künstler wie reiner maria matysik zunehmend stellung zu tiefgreifenden erkenntnissen der fundamente lebenden daseins.
spätestens seit der mitte des 19. jahrhunderts, in einer atmosphäre rapider veränderungen, werden in den folgenden jahrzehnten grundlegende ergebnisse der experimentalwissenschaften in einer vielzahl von populärwissenschaftlichen abhandlungen für ein breites publikum erfassbar. drei beispiele wissenschaftlicher revolutionen aus physiologie, physik und psychologie, die bedeutende umwälzungen in der kunstentwicklung der zeit zur folge haben, seien genannt: der naturforscher hermann von helmholtz, der in fortführung von darwins evolutionärer biologie die menschliche wahrnehmung als einheit von auge und geist feststellte und damit die physiologische perspektive entdeckte. albert einstein revolutionierte die erkenntnis von raum und zeit mit seiner kosmischen perspektive und mit der veröffentlichung von sigmund freuds traumdeutung ist der schritt von der bewussten zur unbewussten wahrnehmung von raum und zeit mit der psychologischen perspektive vollzogen. allein diese erkenntnisse haben das moderne künstlerische verständnis von natur grundlegend verändert.
mit den gegenwärtigen entwicklungen in der molekularbiologie ist die schwelle erreicht, an der der mensch selbst aktiv in die genetische struktur lebender organismen eingreifen und als folge davon zukünftig auch den begriff des menschseins in frage stellen kann. damit ist im vergleich zu früheren erkenntnissen der wissenschaft ein quantensprung menschlicher möglichkeiten erreicht.
folgt man reiner maria matysiks ausführungen, so wird die gentechnik für uns heute kaum vorstellbare dramatische auswirkungen haben: die ästhetisch-biologische revolution wird zu einer fundamentalen neustrukturierung des lebens führen. menschen werden keine menschen mehr sein. die phylogenese, aus der bisher menschen entstanden, wird in zukunft alle möglichen wesensarten hervorbringen. der künstler gestaltet seine visionären, oft farbintensiven, biomorph wuchernden modelle zukünftiger lebensformen auf vielfältig bizarre weise. diese metaphern für eine zukünftig vorstellbare grenzenlose manipulation von lebendigem bezeichnet er als hopeful monsters .
reiner maria matysik fordert mit seinem provokanten ansatz geradezu die auseinandersetzung mit den biowissenschaften und deren in zukunft möglichen konsequenzen für unsere gesellschaft.