10.07 vom bazillus zum affenmenschen

hanse-wissenschaftskolleg, delmenhorst


maty­siks pro­to­ty­pen­mo­del­le zukünf­ti­ger mensch­li­cher orga­nis­men sind im rah­men der tagung »pro­duk­ti­on von evi­denz. bio­lo­gi­sche meta­phern und geschlech­ter­kon­struk­tio­nen zwi­schen kunst und wis­sen­schaft in neu­zeit und moder­ne« erneut zu sehen. die durch eine stren­ge ras­ter­an­ord­nung der acryl­glas­vi­tri­nen sehr clean wir­ken­de prä­sen­ta­ti­on im foy­er des han­se-wis­sen­schafts­kol­legs mutet wie das film­set für eine sci­ence-fic­tion-pro­duk­ti­on an. maty­sik erscheint als expe­ri­men­tell for­schen­der künst­ler, der auf grund­la­ge der moder­nen mole­ku­lar­bio­lo­gie aktiv in die gene­ti­sche struk­tur von orga­nis­men ein­greift. die resul­ta­te sei­ner bio­lo­gi­schen plas­tik kön­nen hier hin­sicht­lich des tagungs­the­mas als meta­phern für eine in zukunft unein­ge­schränkt mög­li­che mani­pu­la­ti­on leben­der mate­rie gele­sen wer­den. in maty­siks welt der akti­ven evo­lu­ti­on sind es hop­eful mons­ters. durch sie regt er zur aus­ein­an­der­set­zung mit den sich aus den bio­wis­sen­schaf­ten erge­ben­den kon­se­quen­zen für die zukünf­ti­ge gesell­schaft an. mit dem titel der aus­stel­lung setzt er sich in bezug zu dem schrift­stel­ler wil­helm böl­sche, der bereits 1900 eine gleich­na­mi­ge schrift publi­zier­te und in sei­nem lite­ra­ri­schen schaf­fen natur­wis­sen­schaft­li­che the­men popularisierte.

matysik’s pro­to­ty­pes of future human orga­nisms are to be seen anew within the con­text of the con­fe­rence »pro­duc­tion from evi­dence. bio­lo­gi­cal meta­phors and gen­der con­s­tructs bet­ween art and sci­ence in modern times and moder­ni­ty«. an aus­te­re arran­ge­ment of acrylic glass dis­play cases are pris­ti­ne­ly pre­sen­ted in the foy­er of the han­se-wis­sen­schafts col­lege, and appear as if on a film set for a sci­ence fic­tion film. maty­sik appears as an expe­ri­men­tal rese­arch artist who on the basis of modern mole­cu­lar bio­lo­gy, actively inter­ven­es in the gene­tic struc­tures of orga­nisms. the results of his bio­lo­gi­cal sculp­tu­re can be read here in terms of the con­fe­rence the­me, as meta­phors for a pos­si­ble future unli­mi­t­ed mani­pu­la­ti­on of living mat­ter. in matysik’s world of acti­ve evo­lu­ti­on they repre­sent hop­eful mons­ters. with the­se he pro­vo­kes a deba­te about the con­se­quen­ces which ari­se from bio­lo­gi­cal sci­ence for the socie­ty of the future. the title of the exhi­bi­ti­on is a refe­rence to the wri­ter wil­helm böl­sche, who alre­a­dy in 1900 published a work of the same name and who, through his lite­ra­ry wri­tin­gs, popu­la­ri­zed the­mes of natu­ral sciences.

wir haben immer gedacht, unser schick­sal steht in den ster­nen. jetzt wis­sen wir, dass es größ­ten­teils in unse­ren genen liegt.

getrie­ben von aus­sa­gen wie der von james wat­son, der vor gut 50 jah­ren zusam­men mit fran­cis crick die helix­struk­tur der dna ent­deck­te und inspi­riert von der gegen­wär­tig rasant fort­schrei­ten­den ent­wick­lung der mole­ku­lar­bio­lo­gie neh­men zeit­ge­nös­si­sche künst­ler wie rei­ner maria maty­sik zuneh­mend stel­lung zu tief­grei­fen­den erkennt­nis­sen der fun­da­men­te leben­den daseins.

spä­tes­tens seit der mit­te des 19. jahr­hun­derts, in einer atmo­sphä­re rapi­der ver­än­de­run­gen, wer­den in den fol­gen­den jahr­zehn­ten grund­le­gen­de ergeb­nis­se der expe­ri­men­tal­wis­sen­schaf­ten in einer viel­zahl von popu­lär­wis­sen­schaft­li­chen abhand­lun­gen für ein brei­tes publi­kum erfass­bar. drei bei­spie­le wis­sen­schaft­li­cher revo­lu­tio­nen aus phy­sio­lo­gie, phy­sik und psy­cho­lo­gie, die bedeu­ten­de umwäl­zun­gen in der kunst­ent­wick­lung der zeit zur fol­ge haben, sei­en genannt: der natur­for­scher her­mann von helm­holtz, der in fort­füh­rung von dar­wins evo­lu­tio­nä­rer bio­lo­gie die mensch­li­che wahr­neh­mung als ein­heit von auge und geist fest­stell­te und damit die phy­sio­lo­gi­sche per­spek­ti­ve ent­deck­te. albert ein­stein revo­lu­tio­nier­te die erkennt­nis von raum und zeit mit sei­ner kos­mi­schen per­spek­ti­ve und mit der ver­öf­fent­li­chung von sig­mund freuds traum­deu­tung ist der schritt von der bewuss­ten zur unbe­wuss­ten wahr­neh­mung von raum und zeit mit der psy­cho­lo­gi­schen per­spek­ti­ve voll­zo­gen. allein die­se erkennt­nis­se haben das moder­ne künst­le­ri­sche ver­ständ­nis von natur grund­le­gend verändert.

mit den gegen­wär­ti­gen ent­wick­lun­gen in der mole­ku­lar­bio­lo­gie ist die schwel­le erreicht, an der der mensch selbst aktiv in die gene­ti­sche struk­tur leben­der orga­nis­men ein­grei­fen und als fol­ge davon zukünf­tig auch den begriff des mensch­seins in fra­ge stel­len kann. damit ist im ver­gleich zu frü­he­ren erkennt­nis­sen der wis­sen­schaft ein quan­ten­sprung mensch­li­cher mög­lich­kei­ten erreicht.

folgt man rei­ner maria maty­siks aus­füh­run­gen, so wird die gen­tech­nik für uns heu­te kaum vor­stell­ba­re dra­ma­ti­sche aus­wir­kun­gen haben: die ästhe­tisch-bio­lo­gi­sche revo­lu­ti­on wird zu einer fun­da­men­ta­len neu­struk­tu­rie­rung des lebens füh­ren. men­schen wer­den kei­ne men­schen mehr sein. die phy­lo­ge­ne­se, aus der bis­her men­schen ent­stan­den, wird in zukunft alle mög­li­chen wesens­ar­ten her­vor­brin­gen. der künst­ler gestal­tet sei­ne visio­nä­ren, oft farb­in­ten­si­ven, bio­morph wuchern­den model­le zukünf­ti­ger lebens­for­men auf viel­fäl­tig bizar­re wei­se. die­se meta­phern für eine zukünf­tig vor­stell­ba­re gren­zen­lo­se mani­pu­la­ti­on von leben­di­gem bezeich­net er als hop­eful mons­ters .
rei­ner maria maty­sik for­dert mit sei­nem pro­vo­kan­ten ansatz gera­de­zu die aus­ein­an­der­set­zung mit den bio­wis­sen­schaf­ten und deren in zukunft mög­li­chen kon­se­quen­zen für unse­re gesellschaft.