schloss mannheim
ordnungen des insularen
die ausstellung findet parallel zu einer nachwuchstagung gleichen titels statt. im rahmen der interdisziplinären auseinandersetzung mit dem sujet realer, fiktiver sowie künstlicher inseln sollen aspekte des insularen ästhetisch erfahrbar gemacht werden. matysik entwickelt eine installation, die mit ihrem von ventilatoren bewegten folienmeer an die insel lummerland der augsburger puppenkiste denken lässt.
the exhibition takes place parallel to the next-generation conference of the same name. as part of an interdisciplinary discussion of real, fictional and artificial islands, aspects of the insular are to be experienced aesthetically. matysik develops an installation that is reminiscent of the augsburger puppenkiste theater’s lummerland island, with a sea of foil – set in motion by fans – that washes up against island models installed on trolleys.
Seestück mit Inseln
Installation mit sechs Ventilatoren, transparenter, farbloser Kunststofffolie, drei ca. 10 cm hohe 25x25 Quadratmeter große Plattformen auf Rollen, Knetmasse; Format: 10x3 m
Sechs Ventilatoren lassen eine zehn Meter lange und etwa drei Meter breite, leichte und transparente Kunststofffolie sich wellenartig flatternd bewegen. Die Ventilatoren stehen an einer der kurzen Seiten der Folie, die an Ständern ca. 80 cm über dem Boden befestigt ist, im Ruhezustand im gesamten mittleren Bereich der Folie auf dem Boden aufliegt, im bewegten Zustand zwischen 10 cm und etwa einem Meter über dem Boden schwebt. Drei aus Knetmasse geformte kleine Inselmodelle stehen in ausgeschnittenen Arealen der Kunststofffolie, der Ausschnitt der Fläche der betreffenden Insel in etwa entsprechend. Die Inseln sind etwas unterschiedlich groß, die kleinste ist ca. 25 cm hoch, und hat einen Durchmesser von 30 cm, die anderen beiden sind entweder höher oder, die andere, von rechteckiger Form, länger. Die Knetmasse ist mit Speisefarbe in terracottafarben, hellgelb und graubraun eingefärbt; die Farben entsprechen denen von mit Flechten überzogenem Gestein.
Matysiks Installation bewegt sich thematisch zwischen Kunst, Künstlichkeit, Konstruktion und Wahrheit und greift damit Fragen der Ästhetik auf, die in der Moderne virulent sind.
Assoziativer Ausgangspunkt seiner Arbeit ist das künstliche Wasser der Jim Knopf-Bearbeitungen der Augsburger Puppenkiste; es ist damit ein Element kulturellen, visuellen Erlebens vor allem einer bestimmten Generation wiederum innerhalb einer Kulturgemeinschaft – der deutschsprachigen –, das hier aufgegriffen und verarbeitet wird. Die Formulierung des Konzepts des Werkes durch den Künstler ist als Teil des Werkes anzusehen:
»Die wirklichste Inselerfahrung ist möglich, wenn die gesamte Insel in einem Blick vor einem liegt. Also aus der Luft oder eine künstliche Insel umgeben von künstlichem Wasser. Das Flugzeug verändert den Standpunkt und nicht das Objekt der interesselosen Betrachtung. Also künstlich. Und die beste der künstlichen Inseln sollte von künstlichem Wasser umgeben sein. Und das beste der künstlichen Wasser ist nun mal das Lummerlandumgebungswasser der Augsburger Puppenkiste. Kleine Inselchen tauchen aus dem Wellenmeer auf, so wie vor Island 1969 eine neue Insel aufgetaucht ist. «
Die Bezeichnung »Objekt der interesselosen Betrachtung« weist auf ein Kunstverständnis, in dem das Kunstwerk als Gegenstand jenseits jeglicher Zweckrationalität begriffen wird, rein zur ästhetischen Betrachtung, undidaktisch, unpolitisch. Was hier ganz schlicht und etwas kokett formuliert ist, erweist sich bei näherem Hinsehen als Fiktion, gleich der Fiktion von Lummerland und der von reiner Vernunft. Menschliches Sein und Denken ist immer unter den Bedingungen von je bestimmter Kultur historisch verortet, ebenso wie Lummerland ein Ort ist, der für eine bestimmte Generation in einer bestimmten Kultur eine besondere Bedeutung hat, Teil des kulturellen Gedächtnisses ist und in diesem wiederum Teil eines Generationengedächtnisses. Kulturelles Gedächtnis ist ohne intersubjektive Konstruktionen und diesen zugehörige Wahrheitsansprüche gar nicht existent.
Die Installation wird in verschiedenen Graden der Echtheitswahrnehmung oder – im Gegenteil – Augenfälligkeit der Künstlichkeit erfahrbar, je nachdem, an welchem Standpunkt in Bezug auf die Installation die Betrachterin oder der Betrachter steht. An der Querseite, der schmalen Seite, die den Ventilatoren gegenüber ist, also am weitesten von diesen entfernt, ist die Illusion, an einem Strand zu stehen, ein bewegtes Meer mit dazugehörigem Rauschen vor sich zu haben, am stärksten. Urlaubsgefühle, wehmütige und nostalgische Meeres- und Inselsehnsucht wurden als im Rezipieren des Seestücks von einigen Besucherinnen und Besuchern beschrieben; dagegen ist vor allem von der Querseite aus der Untergrund der Inseln – kleine Plattformen auf Rollen – deutlich zu sehen, immer in der Aufwärtsbewegung der Folie, das illusionäre Meer mit Inseln taucht nur in der Abwärtsbewegung der Folie auf. An der anderen Querseite drängen sich die Ventilatoren der Wahrnehmung unmittelbar auf, sowohl als Geräusch wie durch die Einsicht, dass sie die Wellenbewegung erzeugen. Der Eindruck der Künstlichkeit ist hier am stärksten und. die Illusion sogar zur Gänze verschwunden. Der Standpunkt, von dem aus die Installation betrachtet wird, bestimmt über ein Erlebnis zwischen den Polen erhabener Landschaftserfahrung und Trash; das Oszillieren der Augenfälligkeit der Konstruktion regt zur Reflexion über gesellschaftliche Konstruktionen überhaupt an, auch hier freilich wieder jene über Inseln als kleine umgrenzte überschaubare beherrschbare Orte etc.
Zitat aus: Anna E. Wilkens: Ausstellung zeitgenössischer Kunst: Inseln – Archipele – Atolle. Figuren des Insularen, in: Anna E. Wilkens, Patrick Ramponi, Helge Wendt (Hg.): Inseln und Archipele. Kulturelle Figuren des Insularen zwischen Isolation und Entgrenzung, Bielefeld: Transcript 2011, S. 77 ff.