gerhard-marcs-haus, bremen
after nature







die bionten sind zunächst skulpturen. in ihrer morphologie erinnern sie an pflanzen- oder tierähnliche lebewesen, ohne dass sich bekannte organismen wiedererkennen lassen. es geht nicht um die visuelle präsentation der schon vorhandenen vielfalt des lebens, sondern um die möglichkeit synthetischer organismen, die in absehbarer zukunft unsere vorhandene welt bereichern werden. dieser teil meiner arbeit kreist also um plastische optionen neuer lebensformen und anderer erscheinungen. in plastischer auseinandersetzung im realraum suche ich nach gestalt und formprinzipien. allgemeiner gesehen stellen die bionten frage nach der notwendigkeit und den möglichkeiten von kunst im gesellschaftlichen kontext.
yvette deseyve: wie verhalten sich in deinem werk modell, idee und ausgeführte skulptur zueinander?
ich entwerfe meine objekte als modelle indem ich sie benenne und katalogisiere. indem ich ihnen eine aufgabe jenseits der kunst zuspreche verlasse ich die sphäre von kunst und suche die begegnung mit den bereichen unserer gesellschaft, die als naturwissenschaft, technologie oder kulturwissenschaftliche reflexion unser verhältnis zur welt bestimmen und besprechen. was ich zu zeigen versuche, ist zum einen unübersehbar sinnlich und zugleich sinnlich gar nicht erfassbar: die ästhetische präsenz der objekte wird durch ihre lexikalische indizierung als wissenschaftliches arrangement gebrochen. für die ausstellung »jenseits des menschen« im medizinhistorischen museum der charité in berlin habe ich das erste mal mit wachs gearbeitet. die präparatorin der pathologie hat mir die historische technik der moulagenherstellung vermittelt. über sie habe ich das präparatorische arbeiten mit wachs gelernt. für die ausstellung habe ich organartige skulpturen gebildet. sie beziehen sich auf den menschlichen körper. die einzelnen skulpturen sind stark aus dem prozess heraus geformt. die gesamte reihe dieser utopischen formen zukünftigen menschseins sind von der idee getragen, dass der mensch die totale kontrolle über seine biologische verfasstheit erlangt und beginnt, jenseits seiner eigenen körperlichen existenz, außerhalb seiner körperhülle, zweckfreie organartige gewebeteile zu züchten.
yvette deseyve: erstaunlich ist dein steter rückbezug zum menschen – stichwort anthropophilie. warum dieser rückbezug und warum nicht bloße fiktion?
bei der anthropophilie geht es um organismen, die den menschen verführen und ihn zum wirt machen, mit ihm verschmelzen oder ihn als nahrungsquelle nutzen. das ist anti-anthropozentristisch gedacht. die objekte und texte sind ein reflex auf ideen, die mit der biologin und naturwissenschaftshistorikerin donna haraway (geb. 1944) aufgekommen sind. dieser bezug ist auf der documenta(13) in »the worldly house. an archive inspired by donna haraway’s writings on multispecies co-evolution« aufgezeigt worden, in dem bücher und filme von mir gezeigt wurden. wir können davon ausgehen, dass naturwissenschaft ebenso wie kunst oder literatur eine erzählung ist. daher ist die antwort auf deine frage: der rückbezug zum menschen kann auch als fiktion gesehen werden.
yvette deseyve: in deinen bionten entwickelst du regelrechte stammbäume und systemgruppen. von gerhard marcks ist der ausspruch überliefert: »man ist als künstler nur ein blatt am baume der tradition.« was bedeutet für dich künstlerisch dieser traditionsbegriff?
bei bildhauerei geht es heute weder einfach um masse, form und oberfläche noch um umweltaktivismus oder sozialarbeitsähnliche aktivitäten ohne gestaltungsabsicht. aber worum dann? künstler eignen sich praktisches spezialwissen an, vielleicht kann man das ästhetische aufmerksamkeit gekoppelt mit gestalterischer kompetenz nennen. so ist es dann in meinem fall zu arbeiten gekommen, bei denen ich experimentell auf die herstellung von sinn aus war. ich habe anordnungen geschaffen, die als spiel eines demiurgen gesehen wurden. da ich aber nur modelle erarbeit habe, musste ich die realen folgen nicht vertreten. die behauptung der gestaltungsmacht jenseits der kunst in die biologie hinein war für mich ein antrieb für die »wesen«. aber auch für die arbeiten danach wie zum beispiel die »wolkenmaschine« bei der emscherkunst ist die überschreitung des kunstrahmens stets gewollt.
yvette deseyve: in dem berühmt gewordenen aufsatz »art concret« beschreibt arp sein kunstwollen als ein nicht-kopieren-wollen, ein nicht- reproduzieren-wollen. gleichzeitig formuliert arp einen anspruch an die kunst, mit seiner arbeit die welt zu »verwandeln«. welche rolle spielt arp mit seiner idee der biomorphen plastik für dich?
er hat skulpturen geschaffen, die nicht abbilden. er hat organisch anmutende objekte gearbeitet, die erfindungen sind. er verlässt die imitation von lebendem, wie sie die figürliche plastik verfolgt und erarbeitet (fast mimetisch) analog zu prozessen der natur formen, die gewachsen sein könnten. damit ist seine herangehensweise mit meiner verwandt.
yvette deseyve: in einem interview hast du einmal sinngemäß geäußert, dass bildhauerei mehr sei als die herstellung von ausstellungsobjekten, da bestandteil einer komplexeren arbeit. kannst du den kontext beschreiben, indem deine werke stehen?
wenn ich meine arbeit betrachte, erscheint sie mir als ein reflex auf den umschlag im verhältnis des menschen zur natur, die sich nicht mehr nur als gegenüber begreifen lässt. was als irritation die gegenwart begleitet, ist ausgangspunkt für den künstlerischen prozess. meine ästhetische strategie versucht die sphäre des ästhetischen zu verlassen und thematisiert als kunst unsere gesellschaftliche praxis im ganzen.
yvette deseyve: du hast das »institut für biologische plastik« in braunschweig mit ins leben gerufen. was ist die zugrunde liegende idee, welche forschungsziele hat das institut?
wissensbereiche wie die moderne molekularbiologie, die gentechnik und die synthetische biologie werden eine dramatische wirkung sowohl auf den fortgang der evolution als auch auf die kunst haben, die in ihrer konsequenz bislang nur vage fassbar ist. eine vom menschen gestaltete biotechnologische zukunft könnte – bei aller notwendigen skepsis – ein ungeheures schöpferisches potenzial bergen, das neue künstlerische ausdrucksformen bereithält und zu einer neuen verbindung zwischen kunst, wissenschaft und gesellschaft führen könnte. infolge ihrer spezialisierung erklärt uns wissenschaft inzwischen nur noch ausschnitte von natur, nicht sie im ganzen. es ist kein gebilde von theorie sichtbar, das alles wissen über sie integrieren könnte; einigkeit besteht aber über ein methodisch überprüfbares vorgehen, das die allgemeinheit von erkenntnis gewährleistet. von interesse für die wissenschaft ist natur auch, wo sie mit dem vermittelt wird, was ihren unveränderlichen gesetzen scheinbar gegenübersteht: mit geschichte. so sind erdgeschichte, die geschichte einer landschaft, die entwicklung der menschlichen natur oder die der naturwissenschaften perspektiven, in denen natur nicht als das andere von kultur figuriert, sondern als ein bereich, dessen objektivität offen ist: naturgesetze verändern sich nicht, aber als prozess hat natur zukunft.
yvette deseyve: jack burnham prognostizierte bereits in den 1960er-jahren vor allem im hinblick auf die biotechnischen entwicklungen eine »neue« bildhauerei und fragte: »ist es nicht möglich, dass kunst – zumindest im fall der skulptur – eine art biologisches zeichen ist?« was hältst du von dieser vision?
kann es noch den »bild- hauer« geben? burnham hat meines erachtens zurecht den blick auf skulptur erweitert, indem er ein verständnis für die arbeiten, die prozesse initiieren anstelle zu modellieren, erarbeitet hat. die rolle der biologie hat er dabei wichtig genommen.
yvette deseyve: in zusammenarbeit mit dem »deutschen institut für zell- und gewebeersatz« hast du eine »lebende skulptur« aus eigenem zellmaterial geschaffen. welche rolle kommt dem material in deiner künstlerischen vision zu?
das erste objekt aus menschlicher substanz habe ich zur ausstellung »jenseites des menschen« herstellen können. es ist mit unterstützung der charité und der berlin brandenburgischen akademie der wissenschaften und einer förderung der scheringstiftung realisiert worden. dieses objekt ist als präparat konserviert. die arbeit an diesem biofakt aus makroskopischer lebendiger substanz ist im zusammenhang mit meinen modellhaften arbeiten wesentlich, um nicht in der metaphorischen ebene der modelle zu bleiben. eine arbeit aus lebender substanz ist in dem material geformt, um das es am ende geht. mit dem versuch eine »lebende skulptur« herzustellen, nutze ich moderne biowissenschaften für die kunst. dabei interessieren mich die entwicklungsmöglichkeiten des menschlichen daseins. die skulptur zeigt eine noch nicht existierende form des menschseins. die aus entnommenem gewebe entstandene skulptur kann als vorstufe für das modellieren von lebendigem material verstanden werden. ich beginne jenseits meiner eigenen körperlichen existenz, außerhalb meiner körperhülle, völlig zweckfreie organartige gewebeteile als autonome organismen zu züchten.
yvette deseyve: mit der »transgenen kunst« bewegt sich kunst in einem ethischen grenzbereich. muss oder darf es grenzen für die kunst geben?
bei künstlerischen arbeiten mit biologischen techniken geht es eher um grenzüberschreitungen zwischen kunst und wissenschaft. grenzen für die kunst sind schon lange vorher gestellt worden. kunst kann anders als natur- und geisteswissenschaft jeden ethisch-moralischen kontext ignorieren. sie muss für die keime, die sie wachsen lässt, keine verantwortung übernehmen. mich interessiert in diesem zusammenhang ein projekt, das nicht bildhauerisch mit material umgeht, sondern eine gesamte neue gesellschaftsform schafft. der arbeitstitel ist »or«. das steht für »organismische republik«. ich suche nach biologisch bedingten grundlagen für ein miteinander. dabei beginne ich nicht innerhalb bestehender konventionen wie zum beispiel der charta der menschenrechte. alles steht zur disposition: was erlaubt ist, was nicht, wird ganz neu auf der basis der biologischen konstitution des menschen entwickelt. dabei ist völlig offen, was dabei herauskommt. schließlich steht dann der schritt bevor dieses theoretische konstrukt mit anderen menschen wirklichkeit werden zu lassen und ein territorium zu finden, auf dem sich »or« gründen lässt.